›Die Bergung des Augenblicks. Zu den Arbeiten von Annette Trefz.‹


Es ist ein schöner Frühlingstag in den Bergen. Oben auf den Gipfeln liegt noch Schnee; aber in der Sonne ist es angenehm. Sie ist zuerst hochgefahren und flink ausgestiegen um ihn in seinem kleinen roten Sessel beim Herauffahren mit dem Lift fotografieren zu können. Sie hat sich einen geeigneten Platz auf der Plattform gesucht, die Kamera aus der Tasche geholt und mit dem Aufziehhebel den Film weitertransportiert.


AUSLÖSEN

Im entscheidenden Moment drückt der Zeigefinger der Fotografin den Auslöser. ›Klick‹. Der Spiegel fällt. Der Vorhang öffnet sich – nur für den Bruchteil einer Sekunde. Das Licht des Augenblicks und damit ein Bild wird eingefangen. Der Moment scheint für die Ewigkeit festgehalten. Es ist die grundlegende Konstruktion der Kamera, welche das vorgegebene Bild durch das Objektiv auf den speichernden Film oder Chip projiziert, die uns glauben macht, die Situation ohne ihre eigentliche zeitliche Begrenzung objektiv – so wie sie wirklich gewesen ist – tatsächlich festhalten zu können1. Die Lichtzeichnung der Fotografie als Aufzeichnung der Wirklichkeit wird zur idealen Antwort für unsere Sehnsucht, den Augenblick vor dem Vergessen zu bewahren. Das Bild auf Papier versichert als Dokument die inneren Bilder der Erinnerung. Und doch unterliegen diese Bilder eigenartigen Prozessen der Verwandlung. Das Papier vergilbt, Farben verblassen im Lauf der Jahre. Vieles was Bestandteil der Erinnerung ist, ist auf dem Foto nicht aufgezeichnet: wie gut das Mittagessen in der Berghütte geschmeckt hatte, der Klang des Lachens, der Duft der Wiese … So bedarf das Foto immer der Erzählung, um die Situation wieder wach zu rufen. Sind die Verwandten nicht mehr da, die mit ihren Schilderungen das Bild beleben, werden viele dieser Fotos aus den Familienalben plötzlich belanglos und zu einem beliebigen Gegenstand2. Und doch wollen diese schattenhaften Bildnisse3gesehen werden, verlangen danach, beachtet zu werden, auch wenn niemand mehr sich erinnern sollte.

Es sind häufig eben solche Fotografien, die Annette Trefz zum Anlass ihrer Malerei werden. Bilder, wie wir alle sie zu Hause in Alben, Schachteln und Briefumschlägen aufbewahren. Dem Nichteingeweihten erscheinen sie oftmals banal und unbedeutend – für uns selbst sind sie mit der Erinnerung an Momente und Personen verknüpft. Vielleicht ist es gerade das dazwischen liegende spürbare Begehren des Bildes, betrachtet zu werden, welches Annette Trefz jeweils ein bestimmtes Foto als Motiv auswählen lässt.

Am Beginn ihrer Arbeit steht der Augenblick des Fotografierens. Sie macht sich praktisch selbst zur Linse, indem sie beim Aufzeichnen des vergrößerten Motivs auf jegliche Hilfsmittel zur Projektion verzichtet und das Foto in einer außerordentlichen Übereinstimmung bis ins kleinste Detail auf die Leinwand überträgt.


ENTWICKELN

›Ich wäre nicht berechtigt, etwas zu verändern‹, sagt Annette Trefz. Eine Veränderung würde den bewahrten Moment, der nie mehr so sein wird, verschwinden lassen. Mit der gleichen Sorgfalt geht sie vor, wenn sie im langsamen Überlagern einzelner Farbschichten das Bild nach und nach auf der Leinwand Substanz gewinnen lässt. Beobachtet man diesen Malprozess in einzelnen Zwischenphasen erscheint das Bild von mal zu mal immer deutlicher, ähnlich dem langsamen Sichtbarwerden der Fotografie in der Entwicklerschale. Dabei ist die Genauigkeit im Detail ebenso wie die erhaltene Schärfe wichtiges Korrektiv einer vermeintlichen Unschärfe des Erinnerungsbildes4. Der Konturverlauf jedes einzelnen Schneefelds, die Maserung des Holzes werden im Detail beibehalten.

Die Achtsamkeit und Geduld, die Annette Trefz dabei verwendet, ihr sorgsames Verweilen beim Vorgefundenen, erzeugt eine besondere Art der Vergegenwärtigung. Im Bild entsteht eine sinnliche Präsenz, vergleichbar der veränderten Qualität von Erinnerung, wenn neben der bloßen Bestimmung von Ort und Zeit einer Begebenheit, Atmosphäre und Erleben von Situation und Ort wieder erscheinen – die Vergangenheit mit vergangener Gegenwart getränkt wird5.

Es ist diese Sorgfalt, die ein Bild entstehen lässt, bei dem der Betrachter sich nicht nur in der Position, sondern

in der Situation des Fotografen wiederfindet – im Betrachten zum Autor des Bildes wird6.


EINORDNEN

Gerade durch ihre Entscheidung gegenüber der Vorlage nichts zu verändern, fügt Annette Trefz dem Bild etwas Neues hinzu. Sie übernimmt nicht nur das Motiv der Photographie, sondern auch die kleinen Kratzer und Risse, die sich im Lauf der Zeit in die zarte Oberfläche des Photos eingegraben haben. Das Bild zeigt nicht nur den erinnerten Moment, sondern auch die Spuren der verschiedenen Handhabungen des Erinnerns – die Spuren vom Einkleben und Sortieren, dem Blättern in den Alben, dem Hervorholen, dem Zeigen und Erzählen. Auch die verschiedenen Farbveränderungen, welche bei manchen der Fotos im Laufe der Jahre eingetreten sind, werden von Annette Trefz in ihren Bildern beibehalten. Das Photo, welches die Erinnerung bewahrend die Zeit überschreiten sollte, zeigt sich als zeitlich zuordenbares7und selbst zeitlich begrenztes, vergängliches Objekt.


ERZÄHLEN

Immer wieder werden von Annette Trefz als Motiv auch Fotos ausgewählt, auf denen Personen posieren. Ganz bewusst übernimmt sie auch die schmückenden Rahmen der alten Papierabzüge, wodurch das Foto in seiner Konstruiertheit und Inszeniertheit als zugleich falsch und wahr8sichtbar wird. Das Posieren erlaubt dem Fotografierten, eine Vergangenheit zu konstruieren, in der er für den Betrachter in der Zukunft genau so gewesen ist, wie er es sich heute intensiv vorstellt9. Zugleich entsteht dabei eine ambivalente Situation. Während das Foto ein Fortdauern der Person (eben in der eingenommenen Haltung, in welcher der Fotografierte gesehen werden möchte) gewährleisten soll, wird zugleich im Stehen-Bleiben des Lächelns bereits die Erstarrung und Erkaltung – letztlich der Tod als Stillstehen der Zeit – vorweg genommen10.

Gerade in diesem Offenlegen der Brüchigkeit aller Versuche den Augenblick im Foto festzuhalten und damit die ideale Erinnerung zu schaffen, liegt das besondere Moment von Annette Trefz’ Bildern. Gleichzeitig lässt sie uns zweierlei sehen: den erinnerten Moment ebenso wie das ständige Zurückfallen des Versuchs, den Augenblick zu bewahren in die Zeitlichkeit – und ermöglicht so den Umschlag im Verhältnis von Gewesenem und Gegenwart11. So fährt im Sessellift nicht nur der Mann, der erinnert werden soll, aus der Vergangenheit ins Heute auf uns zu, sondern zugleich auch wir selbst in unserem ständigen Bemühen die Erinnerung zu formen und gegen das Vergessen zu bewahren.


1 Bazin A (1975) Was ist Kino? Bausteine zur Theorie des Films. Köln: DuMont
2 Barthes R (1989) Die helle Kammer. Frankfurt am Main: Suhrkamp
3 Mitchell WJT (2008) Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur. München: C.H. Beck
4 Ullrich W ( 2002) Die Geschichte der Unschärfe. Berlin: Wagenbach
5 Seel M (2003) Ästhetik des Erscheinens. Frankfurt am Main: Suhrkamp
6 Frizot M (2004) Versuch über eine fotografische Anthropologie. Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks.
Kunstforum International. 172 S. 84-93
7 Wilhelm H (1993) The Permanence and Care of Color Photographs. Traditional and Digital Color Prints, Color Negatives,
Slides and Motion Pictures. Grinell: Preservation
8 Ribbat C (2004) Smoke gets in your eyes, oder: Wie ich lernte, über Fotografie zu schreiben, ohne Roland Barthes zu zitieren.
Kunsforum International 172 S. 39-42
9 Pessoa F (2003) Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich: Ammann
10 Jocks HN (2004) Der Gebrauch der Fotografie. Ein Versuch über die Fotologie. Kunstforum International. 171 S. 37-79
11 Benjamin W (1983) Das Passagen-Werk. Frankfurt am Main: Suhrkamp

Diskurs 01


THOMAS STAROSZYNSKI
›DIE BERGUNG DES AUGENBLICKS.
ZU DEN ARBEITEN VON ANNETTE TREFZ‹
In: Mariaberg e.V. (Hrsg.) Begebenheiten.
Gammertingen: Mariaberg 16-18
Katalog zur Ausstellung
›BEGEBENHEITEN‹
HELGA KEIZ UND ANNETTE TREFZ
›IN DEN BERGEN‹
ANNETTE TREFZ
2006, Eitempera und Öl auf Leinen
130 X 90 cm

DISKURS_1_ENDE



›Liebe Gäste und Kunstbetrachter, liebe Annette, …‹


… herzlich willkommen in der Ausstellung „hier und dort“ von Annette Trefz.


Als mich Annette fragte, ob ich ein paar Worte zur Eröffnung sprechen könnte, ahnte ich, dass etwas auf mich zukommt. Denn schon der Titel der Ausstellung verweist auf ein umfassendes bildnerisches Projekt. Es geht um das Hier und das Dort, um die Heimat und die Fremde, um das Vergangene und das Gegenwärtige, um den Moment und die Dauer, um die Ferne und die Nähe. Man könnte auch sagen, es geht um die Verbindung zwischen unterschiedlichen Welten oder auch um das was sich dazwischen ereignet.      

Vordergründig sehen wir zunächst jenseits der Moden und Stile, gegenständliche, figurative Malerei wie sie seit Jahrhunderten existiert. Es gibt Landschaften, Stadtansichten, Innenräume, Portraits und Selbstportraits. Bei näherem Betrachten wirken diese Arbeiten jedoch  modern und eigenwillig. Es öffnen sich Bildräume die auf eine Tiefe verweisen. Etwas scheint uns unter die Oberfläche zu ziehen und uns zu berühren. Bewegung verbindet sich mit ruhigen, fast statisch wirkenden Momentaufnahmen. Es scheinen die Motive wie im Zeitraffer verdichtet. Landschaften, Menschen und Tiere wirken vergänglich, brüchig und zugleich kraftvoll.  

 In älteren Arbeiten sehen wir häufig Motive, wie aus einem alten Familienalbum. Diese sind scheinbar verblichen und von Patina und Gebrauchsspuren überzogen. Die Menschen darin blicken ernst oder posieren auch, die Atmosphäre ist teilweise beklemmend und wirkt eingetrübt. Jüngere Gemälde thematisieren dagegen das persönlich erlebte. In diesen Bildern wirkt die Natur vielschichtig, auch geheimnisvoll und belebt.

Immer sind es Fotografien, die für Annette zum Anlass für die Malerei werden. Der Moment des Auswählens ist dabei intuitiv und spontan. Mehr absichtslos denn abwägend. Die Umsetzung der Fotografie in die Malerei ist von Geduld und Beharrlichkeit geprägt. 

Annette arbeitet dabei mit  Eitempera. Diese alte Maltechnik, bei der die Farbpigmente mit Ei und Öl gebunden werden, setzt Ruhe und Achtsamkeit voraus. Im langsamen Überlagern einzelner Farbschichten wächst das Bild gleichsam aus dem Untergrund heraus und erscheint immer deutlicher auf dem Bildträger, dem Leinenstoff. So wird der vergangene fotografische Augenblick ein zweites Mal erschaffen, jedoch verwandelt durch die Berührung mit der Zeit und den Blick der Künstlerin. Das Erinnerungsbild, das materielle Bild der Fotografie und das entstehende Bild auf der Leinwand überlagern sich dabei im bildnerischen Schaffensprozess. Sie verschmelzen so zu einer Einheit. Die Arbeit an diesen Bildern ist somit ein Brückenbau zwischen dem vergänglichen Augenblick und dem Wunsch nach dessen Dauer. 

Die hier versammelten Bilder sprechen für sich und ich wünsche Ihnen jetzt viel Muße für das Verweilen im Augenblick der Betrachtung und das Wahrnehmen des Hier und Dort.

Was Ihnen dabei auf – und einfällt können Sie gerne mit der Künstlerin teilen. Resonanzen auf die Arbeiten sind von ihr ausdrücklich erwünscht.

Und zu guter Letzt kann auch getanzt, diskutiert und gefeiert werden. Das Buffet wartet darauf eröffnet zu werden.  


VIELEN DANK.

Diskurs 02


BETTINA MEFFERT
Diplom Kunsttherapeutin
›ERÖFFNUNGSREDE DER AUSSTELLUNG
„HIER UND DORT“

DESKTOP ENDE

Diskurs 01


›Die Bergung des Augenblicks. Zu den Arbeiten von Annette Trefz.‹


THOMAS STAROSZYNSKI
›DIE BERGUNG DES AUGENBLICKS.
ZU DEN ARBEITEN VON ANNETTE TREFZ‹
In: Mariaberg e.V. (Hrsg.) Begebenheiten.
Gammertingen: Mariaberg 16-18
Katalog zur Ausstellung
›BEGEBENHEITEN‹
HELGA KEIZ UND ANNETTE TREFZ

Es ist ein schöner Frühlingstag in den Bergen. Oben auf den Gipfeln liegt noch Schnee; aber in der Sonne ist es angenehm. Sie ist zuerst hochgefahren und flink ausgestiegen um ihn in seinem kleinen roten Sessel beim Herauffahren mit dem Lift fotografieren zu können. Sie hat sich einen geeigneten Platz auf der Plattform gesucht, die Kamera aus der Tasche geholt und mit dem Aufziehhebel den Film weitertransportiert.


AUSLÖSEN

Im entscheidenden Moment drückt der Zeigefinger der Fotografin den Auslöser. ›Klick‹. Der Spiegel fällt. Der Vorhang öffnet sich – nur für den Bruchteil einer Sekunde. Das Licht des Augenblicks und damit ein Bild wird eingefangen. Der Moment scheint für die Ewigkeit festgehalten. Es ist die grundlegende Konstruktion der Kamera, welche das vorgegebene Bild durch das Objektiv auf den speichernden Film oder Chip projiziert, die uns glauben macht, die Situation ohne ihre eigentliche zeitliche Begrenzung objektiv – so wie sie wirklich gewesen ist – tatsächlich festhalten zu können1. Die Lichtzeichnung der Fotografie als Aufzeichnung der Wirklichkeit wird zur idealen Antwort für unsere Sehnsucht, den Augenblick vor dem Vergessen zu bewahren. Das Bild auf Papier versichert als Dokument die inneren Bilder der Erinnerung. Und doch unterliegen diese Bilder eigenartigen Prozessen der Verwandlung. Das Papier vergilbt, Farben verblassen im Lauf der Jahre. Vieles was Bestandteil der Erinnerung ist, ist auf dem Foto nicht aufgezeichnet: wie gut das Mittagessen in der Berghütte geschmeckt hatte, der Klang des Lachens, der Duft der Wiese … So bedarf das Foto immer der Erzählung, um die Situation wieder wach zu rufen. Sind die Verwandten nicht mehr da, die mit ihren Schilderungen das Bild beleben, werden viele dieser Fotos aus den Familienalben plötzlich belanglos und zu einem beliebigen Gegenstand2. Und doch wollen diese schattenhaften Bildnisse3gesehen werden, verlangen danach, beachtet zu werden, auch wenn niemand mehr sich erinnern sollte.

Es sind häufig eben solche Fotografien, die Annette Trefz zum Anlass ihrer Malerei werden. Bilder, wie wir alle sie zu Hause in Alben, Schachteln und Briefumschlägen aufbewahren. Dem Nichteingeweihten erscheinen sie oftmals banal und unbedeutend – für uns selbst sind sie mit der Erinnerung an Momente und Personen verknüpft. Vielleicht ist es gerade das dazwischen liegende spürbare Begehren des Bildes, betrachtet zu werden, welches Annette Trefz jeweils ein bestimmtes Foto als Motiv auswählen lässt.

Am Beginn ihrer Arbeit steht der Augenblick des Fotografierens. Sie macht sich praktisch selbst zur Linse, indem sie beim Aufzeichnen des vergrößerten Motivs auf jegliche Hilfsmittel zur Projektion verzichtet und das Foto in einer außerordentlichen Übereinstimmung bis ins kleinste Detail auf die Leinwand überträgt.


ENTWICKELN

›Ich wäre nicht berechtigt, etwas zu verändern‹, sagt Annette Trefz. Eine Veränderung würde den bewahrten Moment, der nie mehr so sein wird, verschwinden lassen. Mit der gleichen Sorgfalt geht sie vor, wenn sie im langsamen Überlagern einzelner Farbschichten das Bild nach und nach auf der Leinwand Substanz gewinnen lässt. Beobachtet man diesen Malprozess in einzelnen Zwischenphasen erscheint das Bild von mal zu mal immer deutlicher, ähnlich dem langsamen Sichtbarwerden der Fotografie in der Entwicklerschale. Dabei ist die Genauigkeit im Detail ebenso wie die erhaltene Schärfe wichtiges Korrektiv einer vermeintlichen Unschärfe des Erinnerungsbildes4. Der Konturverlauf jedes einzelnen Schneefelds, die Maserung des Holzes werden im Detail beibehalten.

Die Achtsamkeit und Geduld, die Annette Trefz dabei verwendet, ihr sorgsames Verweilen beim Vorgefundenen, erzeugt eine besondere Art der Vergegenwärtigung. Im Bild entsteht eine sinnliche Präsenz, vergleichbar der veränderten Qualität von Erinnerung, wenn neben der bloßen Bestimmung von Ort und Zeit einer Begebenheit, Atmosphäre und Erleben von Situation und Ort wieder erscheinen – die Vergangenheit mit vergangener Gegenwart getränkt wird5.

Es ist diese Sorgfalt, die ein Bild entstehen lässt, bei dem der Betrachter sich nicht nur in der Position, sondern

in der Situation des Fotografen wiederfindet – im Betrachten zum Autor des Bildes wird6.


›IN DEN BERGEN‹
ANNETTE TREFZ
2006, Eitempera und Öl auf Leinen
130 X 90 cm

EINORDNEN

Gerade durch ihre Entscheidung gegenüber der Vorlage nichts zu verändern, fügt Annette Trefz dem Bild etwas Neues hinzu. Sie übernimmt nicht nur das Motiv der Photographie, sondern auch die kleinen Kratzer und Risse, die sich im Lauf der Zeit in die zarte Oberfläche des Photos eingegraben haben. Das Bild zeigt nicht nur den erinnerten Moment, sondern auch die Spuren der verschiedenen Handhabungen des Erinnerns – die Spuren vom Einkleben und Sortieren, dem Blättern in den Alben, dem Hervorholen, dem Zeigen und Erzählen. Auch die verschiedenen Farbveränderungen, welche bei manchen der Fotos im Laufe der Jahre eingetreten sind, werden von Annette Trefz in ihren Bildern beibehalten. Das Photo, welches die Erinnerung bewahrend die Zeit überschreiten sollte, zeigt sich als zeitlich zuordenbares7und selbst zeitlich begrenztes, vergängliches Objekt.


ERZÄHLEN

Immer wieder werden von Annette Trefz als Motiv auch Fotos ausgewählt, auf denen Personen posieren. Ganz bewusst übernimmt sie auch die schmückenden Rahmen der alten Papierabzüge, wodurch das Foto in seiner Konstruiertheit und Inszeniertheit als zugleich falsch und wahr8sichtbar wird. Das Posieren erlaubt dem Fotografierten, eine Vergangenheit zu konstruieren, in der er für den Betrachter in der Zukunft genau so gewesen ist, wie er es sich heute intensiv vorstellt9. Zugleich entsteht dabei eine ambivalente Situation. Während das Foto ein Fortdauern der Person (eben in der eingenommenen Haltung, in welcher der Fotografierte gesehen werden möchte) gewährleisten soll, wird zugleich im Stehen-Bleiben des Lächelns bereits die Erstarrung und Erkaltung – letztlich der Tod als Stillstehen der Zeit – vorweg genommen10.

Gerade in diesem Offenlegen der Brüchigkeit aller Versuche den Augenblick im Foto festzuhalten und damit die ideale Erinnerung zu schaffen, liegt das besondere Moment von Annette Trefz’ Bildern. Gleichzeitig lässt sie uns zweierlei sehen: den erinnerten Moment ebenso wie das ständige Zurückfallen des Versuchs, den Augenblick zu bewahren in die Zeitlichkeit – und ermöglicht so den Umschlag im Verhältnis von Gewesenem und Gegenwart11. So fährt im Sessellift nicht nur der Mann, der erinnert werden soll, aus der Vergangenheit ins Heute auf uns zu, sondern zugleich auch wir selbst in unserem ständigen Bemühen die Erinnerung zu formen und gegen das Vergessen zu bewahren.


1 Bazin A (1975) Was ist Kino? Bausteine zur Theorie des Films. Köln: DuMont
2 Barthes R (1989) Die helle Kammer. Frankfurt am Main: Suhrkamp
3 Mitchell WJT (2008) Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur. München: C.H. Beck
4 Ullrich W ( 2002) Die Geschichte der Unschärfe. Berlin: Wagenbach
5 Seel M (2003) Ästhetik des Erscheinens. Frankfurt am Main: Suhrkamp
6 Frizot M (2004) Versuch über eine fotografische Anthropologie. Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks.
Kunstforum International. 172 S. 84-93
7 Wilhelm H (1993) The Permanence and Care of Color Photographs. Traditional and Digital Color Prints, Color Negatives,
Slides and Motion Pictures. Grinell: Preservation
8 Ribbat C (2004) Smoke gets in your eyes, oder: Wie ich lernte, über Fotografie zu schreiben, ohne Roland Barthes zu zitieren.
Kunsforum International 172 S. 39-42
9 Pessoa F (2003) Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich: Ammann
10 Jocks HN (2004) Der Gebrauch der Fotografie. Ein Versuch über die Fotologie. Kunstforum International. 171 S. 37-79
11 Benjamin W (1983) Das Passagen-Werk. Frankfurt am Main: Suhrkamp

DISKURS_1_MOBIL_ENDE



Diskurs 02


›Liebe Gäste und Kunstbetrachter, liebe Annette, …‹


BETTINA MEFFERT
Diplom Kunsttherapeutin
›ERÖFFNUNGSREDE DER AUSSTELLUNG
„HIER UND DORT“


… herzlich willkommen in der Ausstellung „hier und dort“ von Annette Trefz.


Als mich Annette fragte, ob ich ein paar Worte zur Eröffnung sprechen könnte, ahnte ich, dass etwas auf mich zukommt. Denn schon der Titel der Ausstellung verweist auf ein umfassendes bildnerisches Projekt. Es geht um das Hier und das Dort, um die Heimat und die Fremde, um das Vergangene und das Gegenwärtige, um den Moment und die Dauer, um die Ferne und die Nähe. Man könnte auch sagen, es geht um die Verbindung zwischen unterschiedlichen Welten oder auch um das was sich dazwischen ereignet.      

Vordergründig sehen wir zunächst jenseits der Moden und Stile, gegenständliche, figurative Malerei wie sie seit Jahrhunderten existiert. Es gibt Landschaften, Stadtansichten, Innenräume, Portraits und Selbstportraits. Bei näherem Betrachten wirken diese Arbeiten jedoch  modern und eigenwillig. Es öffnen sich Bildräume die auf eine Tiefe verweisen. Etwas scheint uns unter die Oberfläche zu ziehen und uns zu berühren. Bewegung verbindet sich mit ruhigen, fast statisch wirkenden Momentaufnahmen. Es scheinen die Motive wie im Zeitraffer verdichtet. Landschaften, Menschen und Tiere wirken vergänglich, brüchig und zugleich kraftvoll.  

 In älteren Arbeiten sehen wir häufig Motive, wie aus einem alten Familienalbum. Diese sind scheinbar verblichen und von Patina und Gebrauchsspuren überzogen. Die Menschen darin blicken ernst oder posieren auch, die Atmosphäre ist teilweise beklemmend und wirkt eingetrübt. Jüngere Gemälde thematisieren dagegen das persönlich erlebte. In diesen Bildern wirkt die Natur vielschichtig, auch geheimnisvoll und belebt.

Immer sind es Fotografien, die für Annette zum Anlass für die Malerei werden. Der Moment des Auswählens ist dabei intuitiv und spontan. Mehr absichtslos denn abwägend. Die Umsetzung der Fotografie in die Malerei ist von Geduld und Beharrlichkeit geprägt. 

Annette arbeitet dabei mit  Eitempera. Diese alte Maltechnik, bei der die Farbpigmente mit Ei und Öl gebunden werden, setzt Ruhe und Achtsamkeit voraus. Im langsamen Überlagern einzelner Farbschichten wächst das Bild gleichsam aus dem Untergrund heraus und erscheint immer deutlicher auf dem Bildträger, dem Leinenstoff. So wird der vergangene fotografische Augenblick ein zweites Mal erschaffen, jedoch verwandelt durch die Berührung mit der Zeit und den Blick der Künstlerin. Das Erinnerungsbild, das materielle Bild der Fotografie und das entstehende Bild auf der Leinwand überlagern sich dabei im bildnerischen Schaffensprozess. Sie verschmelzen so zu einer Einheit. Die Arbeit an diesen Bildern ist somit ein Brückenbau zwischen dem vergänglichen Augenblick und dem Wunsch nach dessen Dauer. 

Die hier versammelten Bilder sprechen für sich und ich wünsche Ihnen jetzt viel Muße für das Verweilen im Augenblick der Betrachtung und das Wahrnehmen des Hier und Dort.

Was Ihnen dabei auf – und einfällt können Sie gerne mit der Künstlerin teilen. Resonanzen auf die Arbeiten sind von ihr ausdrücklich erwünscht.

Und zu guter Letzt kann auch getanzt, diskutiert und gefeiert werden. Das Buffet wartet darauf eröffnet zu werden.  


VIELEN DANK.

MOBIL_ENDE